
ROTER MORGEN, 3. Jg., April 1969
Begegnungen und Erfahrungen auf dem DKP-Parteitag*

Das erste was mir auffällt, ist ein Her starker Männer, alle mit der weissen Ordnerbinde versehen. Im Foyer der Halle wird mir ein Teilnehmerausweis ausgestellt. Ich habe die Pflicht, ihn sichtbar zu tragen. Es finden strenge Kontrollen statt. Auf meine Frage, wovor man denn Angst habe, von der NPD sei doch in Essen nichts zu befürchten, erfahre ich des Rätsels Lösung. Ein Oberordner erzählt mir im Vertrauen “die Maoisten haben heute auch Flugblätter verteilt“. “Wir haben sie ihnen gleich abgenommen“ erzählt er mit gewichtiger Miene. Ein hinzukommender Parteitagsdelegierter sagt daraufhin, die Ordner hätten damit einen wichtigen Beitrag zur ideologischen Festigung der DKP-Genossen geleistet. Ich will wissen, ob denn die Marxisten-Leninisten in Essen so stark sind. Beflissentlich überhört man meine Bezeigung „Marxisten-Leninisten“ und erklärt: “die Maoisten sind doch überall“. – Da habt ihr wohl recht, denke ich noch und schmunzele über den Eifer der Ordner. Sie haben eben den Befehl erhalten, die gesamte Halle einschließlich der Toilette nach Personen ohne Teilnehmerausweis zu durchsuchen. Natürlich finden sie keinen Maoisten, aber die Marxisten-Leninisten, die wirklichen Revolutionäre stecken diesen Revisionisten im Nacken, ständig, auch wenn sie nicht anwesend sind, sie befinden sich in ihrem schlechten Gewissen. – Heute bekomme ich es wieder bestätigt.

Der Parteitag verläuft genauso ab, wie ich es mir vorgestellt habe. Alle sind sich einig, man ist sich der Größe dieses “historischen Augenblicks“wohl bewußt und hütet sich, ihn in eine echte Problemdiskussion “ausarten“ zu lassen.Man drischt die längst bekannten revisionistischen und opportunistischen Phrasen, die schon auf dem Mist des Phrasendrescherei Chruschtschow gewachsen sind, herunter. Man spricht von Erneuerung der Demokratie in der Bundesrepublik, vom friedlichen Weg zum Sozialismus und von dem Boden des Grundgesetztes, auf dem man steht. – Nur einmal kommt Stimmung auf, als sich nämlich ein Redner mit der Lösung des CSSR-Problems durch die Revisionisten nicht einverstanden erklärt und meint, daß dies “unsere Arbeit sehr erschwert haben.“ Er wird aber sofort von den “klassenbewussten“ Genossen mit dem Argument, dann müsse er eben besser diskutieren, niedergeschrien. Die Revisionisten sollten auf dem Parteitag nicht diskutieren, schon gar nicht über die CSSR. Wie sähe dies auch in der Öffentlichkeit aus? Dann kommt noch einmal Stimmung auf, als einige jüngere Genossen erklären, daß ihnen die Grundsatzerklärung nichtrevolutionär genug sei. Kurt Bachmann findet, daß ein revolutionären Programm eine Utopie sei, daß es in der gegenwärtigen Periode nicht auf ein revolutionären Programm ankomme. Nun, dies erklärt auch das Verhältnis der DKP zu Lenin.

Ich konnte in der Grundsatzerklärung das Wort “Lenin“ nicht finden, das war auch unmöglich, denn es kommt darin gar nicht vor. Nicht einmal verbal bekennen sich die Revisionisten noch zu Lenin. Sie haben ihn völlig über Board geworfen. Nur zu Marx bekennen sie sich und das ist verständlich, ihn können sie leichter revisionistisch verdrehen als Lenin. Auf meine Frage nach Lenin bekomme ich zur Antwort, in der Grundsatzerklärung sei vom Marxismus die Rede und damit sei immer gleichseitig, ohne besondere Erwähnung, der Leninismus mit eingeschlossen das sei doch selbstverständlich. Entweder sind diese Leute so dumm, daß sie ihren eigenen Revisionismus nicht bemerke oder das ganze geschieht mit Absicht. Ein jeder möge ich die Antwort darauf selbst geben.
Ich sah viele Genossen aus den Kreisen, die mir als aufrechte Marxisten/Leninisten bekannt sind, aber auch sie merkten nicht, wie sie hier verschaukelt wurden. Ich könnte z.B. einiges darüber erzählen, wie vor dem Parteitag die Kandidatenliste für den Parteivorstand zustandsgekommen ist, aber das den Rahmen hier sprengen. -Vielleicht ein anderes mal.
Die freundliche Reaktion unseres schärfsten Gegners, der bürgerlichen Presse, bestätigte mir meinen Eindruck vom Parteitag; Die KPD ist keine revolutionäre Partei. Sie irr kein Machtfaktor in der BR sein. Die Herrschenden werden sich bestens mit ihr einigen. Die DKP hat den Marxismus/Leninismus verraten. Sie ist durch und durch revisionistisch. Die ständigen Kniefälle vor der SPD – auch auf dem Parteitag – und das Betteln um Aktionseinheit mit ihr, passen genau zu diesem Kurs.
Zum Abschluss des Trauerspiels sang man gemeinsam die Internationale. Genossen, die Worte des revolutionären Liedes blieben mir in dieser Umgebung im Halse stecken.

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* = Erster Parteitag nach der offiziellen Gründung der DKP (1968). Essen, Grugahalle 12. und 13. April 1969 (Anm. der Red. Die Welt vor 50 Jahren)
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