Kriegserklärung an die „Partner“

Das gesetzt von ungleicher und kombinierter Entwicklung. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

ROTER MORGEN, 3. Jg., Juni 1969

In der April-Nummer dieser Zeitung wurde ein Lagebild der westdeutschen Binnenkonjunktur gegeben, so wie es sich damals abzeichnete. Inzwischen ereignete sich (mit der Entscheidung vom 9. Mai, die Mark nicht aufzuwerten) auch eine internationale Krise ersten Grades. Diese beiden Aspekte (nationale und internationale Konjunktur ) müssen aus Gründen der Präzision getrennt werden, trotz ihrer engen dialektischen Wechselwirkung. Folgendes Bild vermag den Zusammenhang einigermaßen zu erklären: bei ruhiger See wäre der Weg eines Motorboots nur von der eigenen Geschwindigkeit, Kurs usw. abhängig (das entspräche der nationalen Konjunktur); in Wirklichkeit wirken dauernd auch äußere Einflüsse wie Strömungen, Wind usw. auf das Boot ein (internationale Konjunktur).

Schon vor der neuen Währungskrise war die nationale Konjunktur ins Stadium der Überhitzung eingetreten, schon vor dieser Krise waren also für den Sommer erhebliche Preissteigerungen vorauszusehen gewesen. Nun behaupten aber Schiller und „Genossen“ im Mai plötzlich, eine Aufwertung hätte Preissteigerungen verhindert und die kommende Inflation werde eine „importierte“ Inflation sein. Das ist falsch und erfüllt für die Bourgeoisie den Zweck, eine falsche Alternative Strauß – Schiller aufzubauen, um für die nächste Rezession das „Auffangreservoir“ SPD wieder funktionsfähig zu machen. Schillers Behauptung gleicht der des Motorbootkapitäns, der den Motor auf vollen Touren laufen läßt und verkündet, seine Geschwindigkeit käme vom Rückenwind.

Was bedeutete also die Entscheidung vom 9. Mai in Wahrheit? Das marxistische Gesetz von der ungleichen Entwicklung der Produktion im Kapitalismus (da die Länder bzw. Sektoren mit höherer Produktivität unweigerlich noch mehr Kapital anziehen und ihr „Vorsprung“ also immer größer statt kleiner wird) tritt in der heutigen, „keynesianischen“ Phase des Kapitalismus als Gesetz der ungleichen Inflationsraten hervor. In der Tat hat seit der großen Krise von 1929 kein kapitalistisches Land mehr den Mut aufgebracht, den Zyklus „natürlich“ verlaufen zu lassen: schon bei Beginn der Rezession griff der Staat ein, um mittels inflationärer „Spritzen“ die „Talsohle“ auf einem erträglichen Niveau zu halten. Dabei mußten jedoch die Länder mit geringerer Produktivität (England und Frankreich) öfter und tiefer in den Inflationssäckel greifen als die mit höherer (vor allem die BR). Die USA bilden einen Sonderfall: trotz der hohen Produktivität lief die Inflationsmaschine dort auf Hochtouren, um die gigantischen Kosten der imperialistischen „Weltpolizei“-Streitmacht zu bezahlen. So bildete sich schließlich ein genereller Wertunterschied zwischen der Mark auf der einen und den wichtigsten westlichen Währungen auf der anderen Seite heraus, der wahrscheinlich mindestens 10 Prozent ausmacht. Konsequenz: die deutsche Exportindustrie wurde unwiderstehlich und die westlichen „Partner“ wurden zu chronischen Defizit-Ländern.

Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten einer Lösung: entweder man behält den Freihandel bei oder man behält die Währungskurse bei. Wenn man den Freihandel beibehalten will, muß die Mark aufgewertet oder die westlichen Währungen abgewertet werden. Wenn man die Währungskurse beibehalten will, müssen die westlichen „Partner“ zu Importbeschränkungen greifen. Strauß (hinter ihm steht Abs) hat den „Partnern“ am 9. Mai den Krieg erklärt. Er stellte sie vor die Alternative: Wenn ihr den Freihandel beibehalten wollt, müßt ihr abwerten, denn wir werten nicht auf – oder ihr müßt das  Risiko eingehen, den Freihandel zu zerstören.

Für uns Marxisten-Leninisten ist es von ganz entscheidender Wichtigkeit, den Sinn dieser Kriegserklärung richtig zu interpretieren. War es nur Wahltaktik? Geschah es nur, weil Strauß und Kiesinger „nichts von Wirtschaft verstehen“? Es gehört schon ein nettes Maß an Naivität dazu, das anzunehmen. Als ob die Bourgeoisie Entscheidungen akzeptieren würde, die ein eindeutiger Wahnsinn für sie wären!  Als ob diese Entscheidung von den Charaktermasken Strauß und Kiesinger gefällt worden wäre, und nicht von Abs und dem hinter ihm stehenden aggressiven Flügel des westdeutschen Imperialismus! Selbstverständlich stellt diese Entscheidung auch für die westdeutsche Bourgeoisie ein Risiko dar: durch Importkontingente der westlichen “Partner“ würde ihr Export schwer leiden. Aber offenbar fühlt man sich in einer Position der Stärke. Offenbar hat man noch einen Trumpf in der Rückhand.

Dieser Trumpf in der Rückhand heißt – „Genosse“ Patolitschev! Man hat den riesigen Markt der revisionistischen Länder als Erpressungsinstrument gegen die eigenen „Partner“ bereits in Aussicht! Man bekommt eine Pipeline mit russischem Erdgas. Man darf bei Moskau Röhrenfabriken bauen. Man bietet in Moskau  „Automation 1969“ zum Verkauf an, und man sieht mit größtem Vergnügen, wie die Revisionisten bettelnd auf den Bauch kriechen …

Fassen wir zusammen: Die Entscheidung vom 9. Mai bedeutet, daß der westdeutsche Imperialismus wieder auf eigene Faust, und sogar offen im Widerspruch zu den Interessen des US-Imperialismus zu handeln wagt. Sie bedeutet, daß er die westlichen „Partner“ einseitig zu Abwertung zwingen will. Sie bedeutet weiter, daß er dabei das Risiko einer Zerstörung des Freihandels und seiner eigenen westlichen Märkte eingeht. Und sie bedeutet, daß er dieses Risiko niemals ohne die objektive Rückendeckung der UdSSR hätte eingehen können. Denn sollte der Westen nicht kapitulieren, so würde die nächste deutsche Rezession (Anfang der 70er Jahre) zur Krise auswachsen (mit schwerer Arbeitslosigkeit). Die Bourgeoisie geht dieses Risiko ein, weil sie weiß, daß sie die Revisionisten im Kampf gegen revolutionäre Strömungen auf ihrer Seite haben wird.

Konsequenzen für unsere Agitation: den Arbeitern erklären , daß Schiller und die SPD von der Bourgeoisie am 9. Mai wie ein Zigarettenstummel weggeworfen worden sind – daß sie aber im übrigen keinerlei Alternative mehr darstellen; erklären, was der neue „Rückversicherungsvertrag“ mit den neuen Zaren für die westdeutsche Bourgeoisie bedeutet.

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