ROTER MORGEN, 3. Jg., Dezember 1968/Januar 1969
Eines der Argumente der Gegner der Erweiterten Mitbestimmung ist, daß diese nur den Funktionären der SPD und des DGB als Vorwand dienen solle, mehr Einfluß zu gewinnen, daß diesen Funktionären die Lage der Arbeiter und Angestellten ziemlich gleichgültig sei. Diesen Argumenten hat kürzlich die SPD in den Augen vieler Gewicht verliehen, indem sie bewies, daß sie nicht einmal in ihren eigenen Betrieben bereit ist, ganz elementaren Ansprüchen der Arbeitsplatzsicherung zu genügen.
Eine der wenigen verbliebenen SPD-Zeitungen, die Kieler„Volkszeitung“ (VZ) soll auf Entscheidung der SPD-Zentrale in Bonn zum 1. Januar geschlossen werden. Damit wird dem in der SPD oppositionellen Landesvorsitzenden J. Steffen die Möglichkeit genommen, seine politischen Anschauungen in Leitartikeln einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dem Vernehmen nach ist geplant, die „Hamburger Morgenpost“ als von der Bonner SPD-Zentrale gelenktes Sprachrohr zu benutzen, in dem die örtlichen oppositionellen Stimmen natürlich kaum Platz finden dürften. Das ist aber nur einer der Gründe, weshalb das Personal der VZ am Mittwoch den 18. Dezember in den Streik trat. Ihre
Empörung richtet sich vor allem dagegen, daß ihnen die Schließung ihrer Zeitung erst einen Tag ihnen die Schließung ihrer Zeitung erst einen Tag vor der Schließung bekanntgegeben werden sollte. Das heißt von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt zu werden.
Als nun der Leiter der VZ seinen Kollegen die Stillegung des Betriebes rechtzeitig mitteilte, wie es seine gesetzliche Pflicht ist, wurde er von der Leitung des SPD-Konzerns „Konzentra“ fristlos entlassen. Auf die Forderung der VZ-Belegschaft, ihn wiedereinzusetzen, bestätigten ihm die „Konzentra“-Leitung und der SPD-Schatzmeister noch einmal ausdrücklich die Endgültigkeit der Entlassung.
Die Belegschaft streikte bei Redaktionsschluß noch weiter und beabsichtigt damit fortzufahren, bis ihre Forderungen auf Weiterbestehen der VZ und Wiedereinsetzung des alten Verlagsleiters erfüllt sind.
Wessen Interessen die SPD-Führung auch im Auge haben mag, wenn sie die Erweiterte Mitbestimmung fordert, die Interessen der Arbeiter und Angestellten an Arbeitsplatzsicherung und rechtzeitiger Information über die Lage des Betriebes sind es jedenfalls nicht. Wie mag sie von den Unternehmen größere Mitbestimmung fordern, wenn sie nicht einmal bereit ist, diese in ihren eigenen Betrieben zu verwirklichen.
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