Klassenjustiz

Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras schoss dem 26-Jährigen mit einem Pistolenschuss aus kurzer Distanz in den Hinterkopf. Ohnesorg überlebte nicht. Foto: Jörg Carstensen. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

ROTER MORGEN, 1. Jg., Dezember 1967

Nur wer sich noch Illusionen machte über die Herrschaftsform des Staates, in dem wir leben, konnte erstaunt, schockiert, befremdet oder empört sein über den Freispruch des des Studentenkillers Kurras vor dem Westberliner Landgericht. Auch wir sind empört. Doch Empörung allein nützt gar nichts, wenn sie nicht umschlägt in den absoluten Willen, die Macht jener zu brechen, die hier brutal die Herrschaft ihrer Klasse vollziehen.

21. November 1967: Der Polizist Karl-Heinz Kurraz freut sich mit seinem Rechtsanwalt Roos über seinen Freispruch. Foto: Jürgen Henschel, Deutsche digitale Bibliothek. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

Die Vorgänge sind bekannt: 2. Juni 1967. Der Schah in Westberlin. Westerberliner Bürger, vorwiegend Studenten, demonstrieren gegen den Besuch des Potentaten. Die Polizei probt den Notstand. Knüppel frei, auf sie! Szenen erschreckender Brutalität. Der Geist von Auschwitz, Maidaneck, Treblinka erwacht. Augenzeugin Erika Hörning, Soziologiestudentin, vor Gericht: „Ich sah, wie Benno Ohnesorg vor den ihn verfolgenden Polizisten flüchten wollte. Doch ein Beamter holte ihn ein. Er schlug ihn von hinten mit einem Gummiknüppel auf den Kopf. Der Student schien zu taumeln. Dann kamen weitere Beamte hinzu. Es waren zwei oder drei, die sofort auf ihn einknüppelten. Plötzlich ein peitschender Knall. Ich dachte zunächst an einen Feuerwekskörper. Ohnesorg sank langsam in sich zusammen, wie eine Spirale.“

Doch selbst den Sterbenden schonten sie nicht. Wahlos, voll tierischem Hass hieben sie auf ihn ein und ließen erst ab, als Erika Hörning sie anschrie: ,,Schlagen sie doch nicht mehr!“

Wie sagte der Westberliner Polizeireservist Horst Wodke, der auf Grund der Ereignisse des 2. Juni seine Entlassung aus dem Polizeidienst verlangte, als Begründung: „Wir lernten in der Ausbildung den gesetzlichen zulässigen passiven Widerstand zu brechen. Wir sollten auf den Demonstranten zugehen und rufen: „Was, du Schwein, du willst mich schlagen?“, und dann den Betreffenden mit dem Knüppel ‚eine drüberziehn‘. Nachher, so erklärte uns der Ausbilder, könne sowieso niemand mehr etwas feststekkenb, Das Ding wäre prima gelaufen.“

Und wr will sagen, das das ‚Ding‘ um Benno Ohnesorg im Sinne der Westberliner Polizei und Justiz nicht prima gelaufen ist? Nicht Totschlages, geschweige denn Mordes, sondern lediglich fahrlässiger Tötung wegen, klagte man Kurras an. Schon das ließ erkennen, worauf man hinaus wollte. Die Tötung Ohnesorgs sei zwar eindeutig rechtswidrig, und eine Notwehrsituation sei „sicher auszuschließen“, sagte das Gericht und sprach ihn dennoch frei.

Trauerfeier für Benno Ohnesorg am am 5. Juni 1967 in München. Foto: Uwe T. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

Dieser Freispruch ist nicht mehr uns nicht weniger als eine nachträgliche Legitimation für die Erschießung von legal Demonstrierenden bei von der Polizei inszenierten Schlägereien. Für einzelne Polizisten heißt das im Hinblick auf ähnliche Anlässe: Knallt nun munter drauf los, euch wird schon nichts passieren, die Justiz hält schützend die Hand über euch.

Oberstaatsanwalt Kuntze beim Westberliner Landgericht formuliert es so: Wenn Berliner Bürger androhten, Studenten“Knüppel um die Ohren“ zu schlagen, so ist es deren „verfassungsmäßig verbrieftes Recht“ Wenn dies schon für den einfachen Bürger gilt, um wieviel mehr gilt es für die Polizei. Die Parallele zur Zeit vor 1933 ist überdeutlich. Damals wie heute gab es eine politische Justiz blindlings handelnd im Auftrag der profaschistischen Monopolbourgeisie. Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel.
.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*