Unsere Haltung zu den Bombenanschlägen

Der zerstörte Eingang zum Frankfurter Hauptquartier des 5. US-Korps nach der Bombenexplosion vom 11. Mai 1972. | Dieses Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

ROTER MORGEN, 6. Jg., 19. Juni 1972

Wie stehen wir zu den Bombenanschlägen der letzten Wochen? Welche Aufgaben ergeben sich für uns aus den Ereignissen?

Die Frage des Terrors

Kommunisten lehnen den Terror als Mittel des Kampfes keineswegs grundsätzlich ab. Im Gegenteil. Lenin hat sich häufig zu dieser Frage geäußert:

„Wir waren immer für die Anwendung der Gewalt, sowohl im Massenkampfe wie auch im Zusammenhang mit diesem Kampfe. Zweitens haben wir den Kampf gegen den Terrorismus, mit einer jahrelangen, viele Jahre vor Dezember 1905 beginnenden Propaganda des bewaffneten Aufstands vereinigt.“ (Bd. 23 S. 121)

„Killing is no murder“ (Tötung ist kein Mord d. Red.) schrieb unsere alte ‚Iskra‘ über Attentate, wir sind gar nicht gegen politischen Mord (es ist einfach niederträchtig, was die Opportunisten, Vorwärts und Wiener Arbeiter-Zeitung in diesem Sinne lakaienhaftes schreiben), aber als revolutionäre Taktik sind individuelle Attentate unzweckmäßig und schädlich. Nur die Massenbewegung kann als wirklicher politischer Kampf angesehen werden. Nur im direkten, unmittelbaren Zusammenhang mit der Massenbewegung kann und muß auch individuelles, terroristisches Handeln von Nutzen sein.“ (Bd. 35 S. 217)

„Grundsätzlich haben wir den Terror nie abgelehnt und können wir ihn nicht ablehnen. Er ist eine Kriegshandlung, die in einem bestimmten Zeitpunkt einer Schlacht, bei einem bestimmten Zustand des Heeres und unter bestimmten Bedingungen durchaus tauglich und sogar notwendig sein kann.“ (Bd. Was tun S.26)

Gegenwärtig ist die Armee noch nicht in dem Zustand und ihr Stab noch nicht soweit formiert, daß wir zum bewaffneten Kampf übergehen können. Die Armee, das ist das revolutionäre Proletariat und seine Verbündeten. Der Kampfstab, das ist der bewußte und organisierte Vortrupp des Proletariats, die Kommunistische Partei.

Einschätzung der Bombenanschläge

Auch die Bombenanschläge zeigen, daß die Haupttendenz in unserem Land Revolution ist. Sie sind ein Ausdruck für die fortschreitende politische Krise des monopolkapitalistischen Regimes. Beträchtliche Teile der Bevölkerung sympathisieren mit der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe. Nach einer Meinungsumfrage aus der letzten Zeit sind 8 % der Bevölkerung sogar bereit, die „RAF“-Leute zu unterstützen, um ihnen dabei zu helfen, sich ihren Verfolgern zu entziehen. Trotz massiver Hetze der Massenmedien gegen die sogenannten „anarchistischen Gewalttäter“, trotz Einbeziehung der Presse in die Fahndungen, trotz ständiger Appelle von Seiten der Regierung, der Behörden und der Polizei an die Bevölkerung, man solle die Fahndungsarbeit aktiv unterstützen. Trotz riesiger Polizeieinsätze und Sondervollmachten, trotz all der anderen außerordentlichen Maßnahmen, die vom Staat getroffen wurden, ist es dem Kern der „RAF“ bisher gelungen, sich den Verfolgungen zu entziehen. Die Regierung sah sich nun genötigt, die Bevölkerung vor der Unterstützung der „RAF“ zu warnen und mit Kriminalisierung zu bedrohen (Erklärung Brandts). All dies deckt die Schwäche der herrschenden Klasse und ihres Unterdrückungsapparates auf. „Des Volkes Feinde stehn allein“ – auch bei uns erweist sich die Wahrheit dieses Wortes aus der albanischen Nationalhymne. Eben darin liegt die Ursache für die Angst und die Schwäche der herrschenden Klasse.

Wir dürfen natürlich auf der anderen Seite den Gegner auch nicht unterschätzen. Die Bourgeoisie in unserem Lande verfügt über große Erfahrung bei der Täuschung und Unterdrückung des Volkes. Sie verfügt über gewaltige finanzielle und technische Mittel. Sie schreckt vor keinem Verbrechen zurück, wenn es darum geht, ihre Herrschaft zu sichern und   aufrechtzuerhalten. Auch wenn die Bourgeoisie strategisch ein Papiertiger ist, so ist sie doch taktisch gesehen sehr gefährlich. Ihre Herrschaft kann nur gestürzt werden, durch den bewaffneten Kampf, der sich auf die breiten Massen des Proletariats und seiner Verbündeten stützt und von der kommunistischen Partei organisiert und geleitet wird. Putschistische Aktionen, wie sie von der „RAF“ durchgeführt und angestrebt werden, müssen letzten Endes unvermeidlich zu schweren Niederlagen führen. Die „RAF“ ist eine kleinbürgerliche Gruppe von ultralinken Abenteurern, die nicht frei von anarchistischen Zügen ist und die die Revolution nicht als das Werk der Massen, sondern als das Werk einiger „Helden“ betrachten. Sie operieren losgelöst von der Arbeiterklasse und nehmen den Massen gegenüber eine überhebliche Haltung ein. Dennoch dürfen wir sie nicht einfach mit ausgesprochenen Anarchisten gleichsetzen, die antikommunistische Propaganda betreiben und bewußt die Diktatur des Proletariats ablehnen. Wir müssen den Putschismus und die anarchistischen Tendenzen der „RAF“ scharf kritisieren und zurückweisen. Auf keinem Fall dürfen wir sie aber als Kriminelle diffamieren, und wie die Rechtsopportunisten, im Chor mit der Bourgeoisie gegen sie hetzen. Solange sie nicht ausgesprochen anarchistische Positionen vertreten, solange ihre Aktionen den Kampf der Arbeiterklasse nicht sabotieren, betrachten wir die Genossen der „RAF“ als zum Volk gehörend. Gegenüber der Bourgeoisie, die sie jagt und grausam verfolgt, gegenüber den modernen Revisionisten und dem ganzen opportunistischen Gesindel, das feige über sie herzieht, reichen wir den Genossen von der „RAF“ die Hand.

So wie wir zwischen ausgesprochenen Anarchisten und der „RAF“ einen Unterschied machen müssen, so müssen wir auch zwischen verschiedenen Arten von Terroraktionen unterscheiden. Bombenanschläge wie z.B. der Anschlag auf das Springerhochhaus in Hamburg oder auf den Parkplatz des Landeskriminalamtes in München, wo in leichtfertiger Weise das Leben von unschuldigen Menschen aus dem Volk aufs Spiel gesetzt wird, müssen wir verurteilen. Sie sind objektiv gegen unsere Klassenbrüder gerichtet und arbeiten der Demagogie der Bourgeoisie direkt in die Hände, die in Zukunft mehr und mehr zur Taktik der Provokationen greifen und massenfeindliche Terroraktionen selbst inszenieren wird, um das Volk gegen alles was links ist aufzuhetzen, ihre Notstands- und Faschisierungspolitik zu rechtfertigen und um die Idee der revolutionären Gewalt bei den Massen zu diskreditieren. Haben wir aber etwas dagegen, wenn in einem Offizierskasino der USA-Besatzer eine Bombe explodiert und ein Offizier der amerikanischen Aggressionsarmee sein Leben einbüßt? Keineswegs! Ebensowenig ist es unsere Art, darüber zu jammern, daß bei dem Bombenanschlag auf das europäische Hauptquartier (!) der US-amerikanischen Armee in Heidelberg einfache Soldaten ihr Leben lassen mußten. Die Schuld am Tod dieser GIs trägt niemand anderer, als die amerikanischen Imperialisten und ihre westdeutschen Komplizen. Wir sind keine Pazifisten. Unsere Losung heißt nicht: „Verschont die USA-Besatzer vor Bombenterror“, sondern: „USA-Besatzer, raus aus Deutschland!“

Nein – wir sind keine Spießer, die sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wir freuen uns über die Bombenanschläge in Heidelberg und Frankfurt, denn sie haben den USA-Aggressionstruppen einen Schlag versetzt und dem Haß der Völker, auch des deutschen Volkes, gegen die Verbrecher des Pentagons einen angemessenen Ausdruck verliehen.

Welche Aufgaben ergeben sich für die Partei im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen?

Lenin wies darauf hin, daß die Bolschewiki den Kampf gegen den Terrorismus immer mit der Propagierung der revolutionären Gewalt verbunden haben. Diese Haltung ist auch für uns richtungsweisend. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß Anarchismus, Terrorismus und Putschismus heute in Westdeutschland und Westberlin keine so große Rolle in der revolutionären Bewegung spielen, wie damals im Zaristischen Rußland, wo das Kleinbürgertum die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachte und das Industrieproletariat noch jung und zahlenmäßig schwach war.  Nicht die Ideen des Terrorismus und nicht ultralinkes Abenteurertum sind heute in Westdeutschlands und Westberlins Arbeiterbewegung stark verbreitet, und drohen sie vom richtigen Weg abzubringen, sondern vielmehr der Reformismus bzw. der moderne Revisionismus, der sich vor allem auf die Arbeiteraristokratie stützt. Der moderne Revisionismus ist die Hauptgefahr in der Arbeiterbewegung, gegen ihn muß der Hauptschlag gerichtet werden. Wir müssen deshalb in unserer Agit-Prop zwar den Anarchismus verurteilen und auch eine klare Trennungslinie ziehen, zwischen uns und den putschistischen und anarchistisch beeinflußten Elementen und ihre falschen Auffassungen widerlegen und zurückweisen – es wäre aber rechtsopportunistisch, würden wir bei unserer Agit-Prop zu den Bombenanschlägen darauf den Schwerpunkt legen. Es ist typisch für die rechtsopportunistischen Gruppen, daß sie sich in ihren Flugblättern und Artikeln endlos in philisterhaften Geschwätz über die „Schädlichkeit des Terrors“ auslassen, dabei aber die Verbrechen der Imperialisten kaum oder gar nicht anprangern. Mit keinem Wort gehen sie auf die Notwendigkeit der gewaltsamen Revolution ein, mit keiner Silbe entlarven sie die sozialfaschistische Hetze der D“K“P/SEW gegen die „RAF“. Wir müssen diesen Opportunismus rücksichtslos entlarven, vor alle auch die „Theorie“, daß durch Terrorakte der Faschismus  „provoziert“ würde. Diese „Theorie“ wird nicht nur von den pseudoliberalen aller Schattierungen gepredigt, sie wird nicht nur von den D“K“P/SEW-Revisionisten in die Arbeiterklasse hineingetragen, sondern auch von den neorevisionistischen Organisationen, wie KAB,KB,ABGs usw. Die „Theorie“ dient lediglich dazu, die Massen einzuschüchtern, sie vom Kampf abzuhalten und ihnen letzten Endes die Revolution zu verbieten.

Die Schwerpunkte in unserer Agit-Prop zu den Bombenanschlägen müssen also folgendermaßen gesetzt werden:

  1. Anprangerung der ungeheuren Verbrechen der Imperialisten, der Unmenschlichkeit des kapitalistischen Ausbeutersystems. Entlarvung der maßlosen und widerwärtigen Heuchelei über Gewalt und „feigen Mord“, die die Bonner Repräsentanten des Kapitals vom Stapel lassen.
  2. Propagierung der Notwendigkeit der Gewaltsamen Revolution.
  3. Entlarvung der modernen Revisionisten anhand ihrer sozialfaschistischen Demagogie gegen die „RAF“. Entlarvung der neorevisionistischen bzw. rechtsopportunistischen Organisationen anhand ihrer anbieterischen Stellungnahmen über die „Schädlichkeit von Terrorakten“.

Ferner müssen wir immer wieder darauf hinweisen, daß die Bourgeoisie in Zukunft verstärkt zur Taktik der Provokation und der direkten Anzettelung von menschenfeindlichen Terrorakten greifen wird, um die Bevölkerung gegen die revolutionären Kräfte aufzubringen, die Idee der revolutionären Gewalt zu diskreditieren und ihre Notstands- und Faschisierungspolitik zu rechtfertigen. Ein Beispiel dafür ist die Drohung mit dem Bombenanschlag auf Stuttgart.

In der Agitation konzentrieren wir uns vor allem auf den 1. Punkt, schenken aber auch der Entlarvung der Revisionisten genügend Raum. In der Propaganda muß der Hauptschwerpunkt auf die Frage der revolutionären Gewalt gelegt werden. Die Revisionisten entlarven wir in der Agitation vor allem in Hinblick darauf, daß sie sich direkt auf die Seite der Bourgeoisie gestellt haben, indem sie in sozialfaschistischer Weise Demagogie gegen die „RAF“ betreiben usw. In der Propaganda entlarven wir die Revisionisten vor allem an ihrer Stellung zur Frage der revolutionären Gewalt und gehen auf ihre Theorie des „friedlichen Übergangs“ ein.

Wir müssen unsere Wachsamkeit gegenüber dem Klassenfeind verstärken. Es ist damit zu rechnen, daß die Bourgeoisie versucht uns Bombenattentate unterzujubeln, indem sie entsprechendes „Beweismaterial“ bei uns „findet“. Es ist auch möglich bzw. wahrscheinlich, daß sie Provokateure bei uns einzuschleusen versuchen. Es müssen alle Räumlichkeiten, insbesondere offizielle Räume der Partei oder der MOs so gesichert werden, daß es unseren Feinden nicht so leicht möglich ist, unbemerkt irgendwelche Dinge bei uns einzuschmuggeln, um sie dann bei anschließenden Hausdurchsuchungen zu „finden“. Noch sorgfältiger als bisher müssen wir darauf achten, daß keine zweifelhaften Elemente in unsere Reihen eindringen. Dort wo solche Elemente nicht einfach entfernt werden können (bei öffentlichen Veranstaltungen) müssen sie scharf beobachtet und kontrolliert werden. Es ist natürlich verstärkt mit Hausdurchsuchungen und Verhaftungen zu rechnen. Es müssen also die entsprechenden Vorsichts- und Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Unsere Tätigkeit darf nicht gelähmt werden. Die Konspiration muß konsequenter eingehalten werden. Wir müssen uns verstärkt auf die Illegalität vorbereiten. 

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