ROTER MORGEN, 6. Jg., 14. April 1973
Die SPD steht vor ihrem Parteitag und wieder einmal in der Krise. Auf ihrem Parteitag wird diese ‚demokratische Partei‘ mit den altbewährten Tricks dieser ‚Demokratie‘ ihre Krise überwinden und das heile Image herausputzen. Die Antragskommission, die die eingegangenen Anträge an den SPD-Parteitag behandelt, filtert bereits kräftig aus. ‚Linke‘ Anträge von der Basis wandern in den Papierkorb oder werden kunstvoll ins Gegenteil umformuliert. Auf dem Parteitag selbst werden einige Juso-Führer Pöstchen erhalten, andere werden kräftig ‚Opposition‘ üben – solche Qualitäten werden im parlamentarischen Schauspiel immer wieder gebraucht.
Auf der anderen Seite haben wir auch festgestellt, daß die Krise in der SPD eine Krise des Parlamentarismus widerspiegelt. Für viele klassenkämpferische SPD-Anhänger wird nach dem Parteitag der SPD der Schleier der ‚parlamentarischen Demokratie‘ über die Diktatur des Kapitals etwas durchsichtiger werden – dann, wenn diese SPD-Anhänger sehen, wie alles schön beim Alten bleibt.
Revisionisten formieren sich
Wir haben auch festgestellt, daß die D’K’P-Revisionisten mit der wachsenden Arbeiterbewegung und der damit einhergehenden Krise des Parlamentarismus und der Krise der SPD, herbeieilen, um sich als bessere Flickschuster am zerschlissenen Gewand dieser ‚Demokratie‘ zu betätigen. Der Übertritt der ehemaligen Jusos um Eckert in Frankfurt zur D’K’P zeigt diese Entwicklung deutlich. Die Eckert-Gruppe steht an der Spitze einer breiteren Bewegung in der Jugend, die am 4-jährlichen Wahlspektakel, an der Bonner Schwatzbude, keine rechte Freude mehr finden; die sich konkret die Frage stellen:
Welche Rolle spielt im Widerspruch von Kapital und Arbeit eigentlich der Staat, wie müssen wir uns zum Staat stellen, wenn wir den Ausweg aus diesem System erkämpfen wollen?
Die Antwort der D’K’P heißt: Stamokap, die ‚Theorie‘ des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Diese Theorie, so sagt die D’K’P, ist weiterentwickelter Marxismus-Leninismus. In Wirklichkeit ist es ein übler Trick, um den Charakter dieses Staates zu verschleiern, die Notwendigkeit der Revolution zu leugnen. Als Antwort erhalten die SPD-Abtrünnigen auf ihre Fragen eine Kette ums Handgelenk, die sie an das herrschende System und seinen Staat fesseln soll.
Was ist Stamokap?
Was schreibt die UZ der D’K’P zum Stamokap?
„Mit Stamokap wird der gegenwärtige Entwicklungsstand des Kapitalismus in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern bezeichnet.“
Gut, Eisenbahn, Post, Riesenkonzerne sind in Staatsbesitz, oft als Monopol. Der Staat beschäftigt hunderttausende Arbeiter, Angestellte, Beamte. Der Staat greift immer häufiger als ‚Regulator‘ in das Wirtschaftsgeschehen ein.
Aber wie! Die Eisenbahn macht insgesamt nur Defizite – kein Kapitalist will sie als Privatbesitz. Er ist daran interessiert, billige Frachtmöglichkeiten zu haben – sollen die Millionen Steuerzahler die Defizite der Bundesbahn zahlen. VW bringt keine Profite – Verstaatlichung: VW ist mit Steuergeldern saniert und bringt wieder Profite – Reprivatisierung. So reguliert der Staat die kapitalistische Wirtschaft. Er reguliert die Maximalprofite der Kapitalisten auf Kosten der Werktätigen, das ist seine wirtschaftliche Funktion. Diese wirtschaftliche Funktion kann noch so mächtig aussehen, der Staat als Kapitalist tritt nie in Konkurrenz zu den Privatkapitalisten, vielmehr dient er ihnen. Der Staat und das Staatsunternehmen hierzulande widerspricht nicht dem System der Ausbeutung, der privatkapitalistischen Konkurrenzwirtschaft, der planlosen Anarchie der Produktion – er gehört vielmehr dazu.
Daher warnt Lenin:
„ . . .zu den meistverbreiteten Irrtümern gehört die bürgerlich-reformistische Behauptung, der monopolistische oder staatsmonopolistische Kapitalismus sei schon kein Kapitalismus mehr, er könne bereits als ‚Staatssozialismus‘ bezeichnet werden und ähnliches mehr. Eine vollständige Planmäßigkeit boten die Trusts natürlich nicht, bieten sie bis auf den heutigen Tag nicht und können sie nicht bieten. Soweit sie auch Planmäßigkeit bieten, soweit die Kapitalmagnaten den Umfang der Produktion in nationalem und internationalem Maßstab auch im Voraus berechnen, soweit sie die Produktion auch planmäßig regulieren – wir verbleiben trotz allem im Kapitalismus . . .“
Staat ist und bleibt Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie
Genau diese reformistischen ‚Staatssozialisten‘ sind die D’K’P-Führer mit ihrer Stamokap-Theorie. Die UZ schreibt: „Staatsmonopolistischer Kapitalismus bedeutet also nicht einfach Unterordnung des Staates unter die Herrschaft der Monopole, sondern die Verschmelzung beider zu einem politischen und ökonomischen Herrschaftsinstrument (der Monopole) . . .“
Die Revisionisten haben also etwas ganz neues entdeckt, Lenin stellte schon vor 50 Jahren fest, daß natürlich Monopolherren wie Krupp einen bestimmenderen Einfluß auf den Staat ausüben, als die kleinen Krupper im Hinterhof mit 4 angestellten Arbeitern. Das hat er gemeint, als er von Unterordnung des Staates unter die Monopolbourgeoisie sprach. Aber so ‚einfach‘ ist das nach Meinung der D’K’P heute nicht. Heute, so sagen sie, ‚sehen wir eine Verschmelzung von Monopolen und Staat zu einem neuartigen politisch-ökonomischen Herrschaftsinstrument.
Was dahinter steckt, ist folgendes: Aus der einfachen Tatsache, daß der bürgerliche Staat zunehmend bestimmte wirtschaftliche Aufgaben in Interesse der Kapitalisten wahrnehmen muß, die absolut nichts am System der Ausbeutung, Konkurrenz und Planlosigkeit ändern, wird eine neue ‚Staatstheorie‘ entwickelt. Staat und Monopolkapital bilden plötzlich nach Stamokap eine totale Verschmelzung, etwas Untrennbares.
Die Arbeiterklasse interessiert nun nicht, ob sie in einem Staatsbetrieb im Interesse de Kapitals, oder ob sie direkt durch den Kapitalisten ausgebeutet wird. Die Arbeiterklasse interessiert, wie sie die kapitalistische Ausbeutung, die Kapitalisten abschaffen kann. Und hier kommt die D’K’P mit Stamokap und verdunkelt mit ihrer ‚Verschmelzung‘ genau die wesentliche, die politische Funktion des Staates: Gewaltinstrument zum Schutz der Kapitalistenherrschaft unter dem Deckmantel ‚Staat des ganzen Volkes‘, ‚Demokratie‘.
Der Ratschlag der D’K’P-Revisionisten: Durch Klassenkampf das ‚Kräfteverhältnis‘ zwischen Arbeiterklasse und Großkapital ändern, den wirtschaftlichen und damit den politischen Einfluß ‚wegzudrängen‘ – und schon haben wir sie: die ‚antimonopolistische Demokratie‘.
Hat nicht Friedrich Engels vor fast hundert Jahren geschrieben, daß der Staat das Instrument der jeweils ökonomischen herrschenden Klasse zur Unterdrückung der feindlichen Klasse ist, eine Unterdrückung mittels Militär, Polizei, Justiz, Gesetzen usw.? Hat nicht Lenin geschrieben: „Die Formen der bürgerlichen Staaten sind außerordentlich mannigfaltig (von der konstitutionellen Monarchie bis zur allerdemokratischten Republik . . . a.a.O.), ihr Wesen ist aber ein und dasselbe: Alle (bürgerlichen) Staaten sind so oder so, aber in letzter Konsequenz unbedingt eine Diktatur der Bourgeoisie.“
Marxismus-Leninismus oder Revisionismus?
Stamokap heißt im Klartext: Wir haben heute nicht nur einen ganz anderen Staat, sondern auch einen anderen Kapitalismus. Die UZ schreibt: „Der Begriff des staatsmonopolistischen Kapitalismus umfaßt sowohl die ökonomische Stärke des gegenwärtigen Kapitalismus, als auch . . . die von ihm ausgehenden Gefahren für den gesellschaftlichen Fortschritt.“
Gefahren für eine friedliche Weiterentwicklung des Kapitalismus hätte die UZ besser gleich schreiben müssen.
Hinter solchen Sätzen steckt die revisionistische Theorie vom ‚Selbstlauf der Produktivkräfte‘. Karl Marx hatte nachgewiesen, daß aus dem jeweiligen Stand der Produktivkräfte (*) gewisse Produktionsverhältnisse entspringen, Eigentumsverhältnisse. Diese Eigentumsverhältnisse werden von der jeweils herrschenden Klasse, die gleichzeitig Eigentümer der Produktionsmittel ist, durch einen staatlichen Machtapparat gegenüber der besitzlosen Klasse verteidigt und beschützt. Nur durch den Sturz dieses staatlichen Machtapparats der Kapitalisten können heute also die besitzlosen Klassen auf die Produktionsverhältnisse einwirken, eine Veränderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse erreichen.
Diese Tatsache wird von der D’K’P und den Stamokaps fein säuberlich umgangen. Hier stellt sich nämlich die Frage der gewaltsamen Revolution, die Frage der Zerschlagung des staatlichen Gewaltapparats der Bourgeoisie. Die D’K’P dagegen vertuscht mit Stamokap den Klassencharakter des Staates, indem dieser zu einem ökonomisch-politischen Verwaltungsapparat gemacht wird, und nicht mehr.
Die revisionistische Theorie des ‚Selbstlaufs der Produktivkräfte‘ bedeutet: Technik, Wissenschaft, Industrialisierung – die Produktivkräfte – wachsen immer mehr an. Damit würde der Staat sein Wesen als Klasseninstrument mehr und mehr verlieren, und immer mehr zum rein ökonomischen Instrument werden. Deshalb könnten die Produktionsverhältnisse mittels des Staates immer schrittweise den veränderten Produktivkräften angepaßt werden, also die kapitalistischen Produktionsverhältnisse würden sich evolutionär verändern. Der Widerspruch der gesamten Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, der Widerspruch zwischen entfalteten Produktivkräften und den Schranken der Produktionsverhältnisse wird verabsolutiert, aber der Grundwiderspruch des Kapitalismus zwischen Lohnarbeit und Kapital, der unlösbare Klassengegensatz übergangen.
Reform oder Revolution?
Die zwangsläufige Entwicklung des Kapitalismus zu immer größeren und tieferen Krisen und Erschütterungen wird von der D’K’P geleugnet. Sie sieht vielmehr nur „Gefahren für den gesellschaftlichen Fortschritt“ (UZ), solange die Monopolherren die Macht im (!) Staat ausüben. Ganz klar sagt also die D’K’P, daß innerhalb dieses Systems ein gesellschaftlicher Fortschritt möglich sei. Kein Wunder, daß die D’K’P daher aufruft, den ‚fortschrittshemmenden Einfluß der Monopole‘ im Staat zu brechen, die Monopole zurückzudrängen:
„Ziel des Kampfes der arbeitenden Menschen muß sein, nicht nur diese oder jene Verbesserung bzw. Reform im Rahmen des bestehenden Systems durchzusetzen, sondern darüber hinaus eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Überwindung der Macht des Monopolkapitals, eine antimonopolistische Demokratie und schließlich eine sozialistische Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik zu erkämpfen.“
Also Reformen über das bestehende System hinaus, d. h. Reformierung des bestehenden Systems. Daraus folgt natürlich der schrittweise und friedliche Übergang von der Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zur antimonopolistischen Demokratie. Durch die „Änderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Arbeiterklasse“ werden laut D’K’P die Monopole vom Staat zurückgedrängt, durch Mitbestimmung der Arbeiterklasse in Betrieb und Staat (nach Stamokap nur eine Art Verwaltungsbüro), geben die Monopole vernünftigerweise und freiwillig ihre Macht ab; schließlich können sie sich dem ‚geänderten Kräfteverhältnis‘ und den ökonomischen Fortschrittsgesetzen nicht entgegenstemmen. Im Bundestag, im Beamtenapparat, Bundeswehr, Polizei, gleichzeitig in den Betrieben wird Mitbestimmung und Demokratie durchgesetzt, und damit die Monopolherrschaft zurückgedrängt; dann haben wir, so sagt die D’K’P, die antimonopolistische Demokratie. Und das ist dann natürlich eine gute Voraussetzung, um die antimonopolistische Demokratie zum Sozialismus weiterzureformieren.
So einfach ist das. Die Revolution ist altes Eisen. Stamokap machts möglich – der Weg zur Arbeitermacht ganz legal und demokratisch. Die Bourgeoisie liefert freiwillig die Waffen ab . . .
Lenin: „Die ‚Nähe‘ eines solchen (staatsmonopolistischen) Kapitalismus zum Sozialismus muß für wirkliche Vertreter des Proletariats ein Beweisgrund sein für die Nähe, Leichtigkeit, Durchführbarkeit und Dringlichkeit der sozialistischen Revolution, keineswegs aber ein Argument dafür, daß man die Ablehnung dieser Revolution und die Beschönigung des Kapitalismus, wie dies bei allen Reformisten zu finden ist, tolerant hinnehmen solle.“
(Lenin: Staat und Revolution, S. 84, Peking 1969).
Kein Klassenkämpfer und Revolutionär, ob Juso- oder D’K’P-Anhänger, darf dem Stamokap-Berug auf den Leim gehen. In letzter Konsequenz ist das wieder ein ‚Godesberger Programm‘ des ‚demokratischen Sozialismus‘ der SPD. Mit ihrem marxistisch-leninistischem Mäntelchen hat die D’K’P keine andere Aufgabe, als diese revolutionären Kräfte vom Kampf für die Revolution, die Diktatur des Proletariats, für den Sozialismus abzuhalten.
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*Produktivkräfte sind: „Produktionsinstrumente, mit deren Hilfe materielle Güter produziert werden, Menschen, die diese Produktionsinstrumente in Bewegung setzen und die Produktion materieller Güter dank einer gewissen Produktionserfahrung und Arbeitsfähigkeit bewerkstelligen – all diese Elemente zusammen bilden die Produktivkräfte der Gesellschaft.“ (Stalin, Der historische und dialektische Materialismus).
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Stamokap in Aktion:
Kommunalwahlen
Die D’K’P ist noch bescheiden: Ihr Marsch mit Stamokap in den bürgerlichen Staatsapparat fängt an, bei den Kommunen. Nur einige Zitate aus einem einseitigen Artikel der UZ vom 14.4. über die Kommunalwahlen, die obiges bestätigen:
„Die DKP ist eine revolutionäre Arbeiterpartei . . .
Wir Kommunisten sind im Unterschied zu allen anderen Parteien für eine Mitbestimmung, die sich auf das aktive Handeln der Arbeiter, Angestellten und der Gewerkschaften stützt . . .
Die Deutsche Kommunistische Partei tritt für die Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung auch in den kommunalen Betrieben . . . ein.
…Die Mitglieder der DKP werden konsequent für die Mitbestimmungsrechte aller in den kommunalen Unternehmen beschäftigten Arbeiter und Angestellten eintreten, Abgeordnete der DKP in den Gemeinde- und Stadtparlamenten sind Garanten für ein Wirken in diesem Sinne.
. . . Die kommunalen Dienstleistungsunternehmen gehören in der Regel ganz oder mehrheitlich den Gemeinden. Ihr Hauptzweck muß in der Befriedigung wichtiger Lebensbedürfnisse der Bevölkerung und keineswegs in der Profitwirtschaft bestehen . . .
Eine sachkundige Mitsprache und Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten wird zur Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen und zur Entwicklung des sozialen Charakters beitragen und die parlamentarische Demokratie in der Gemeinde wesentlich verstärken.“
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