Die eigene Kleinbürgerlichkeit überwinden

Fotomontage: Ernesto 'Che' Guevara, Karl Marx und Wilhelm Liebknecht. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

ROTER MORGEN, 3. Jg., Mai 1969

Wer von uns kennt das Problem nicht, daß in manchen unserer Genossen, ja sogar in beinahe jedem von uns – trotz oftmals hohem theoretischen Wissen auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus, Reste kleinbürgerlicher Gefühle und Denkweise zurückgeblieben sind? Wem ist es noch nicht aufgefallen, daß einem eine durch und durch bürgerliche Komödie im Fernsehen gefällt, daß man bürgerliche Musik genießt, daß man unbewusst bürgerliche Vorteile nachplappert, daß man von der Reaktion geschaffene Sitten und Gebräuche als “unabänderlich“ und “fest“, ja manchmal sogar als “schön“ oder “gut“ ansieht, daß man in unverantwortlicher Weise Kompromisse eingeht, die eines Marxisten-Leninisten unwürdig sind? Oft genug glauben wir, wenn sich in uns dieses Gift des Kleinbürgertums regt, dort Grenzen zu sehen, wo für einen überzeugten Kommunisten gar keine sein können.

Diese Reste von kleinbürgerlichen Gefühle, die zwangsläufig durch den Widerspruch entstehen, als Marxist-Leninist vorläufig in einer bürgerlichen Umwelt leben zu müssen, gilt es zu überwinden. Geschehen kann dies nur mit einer starken Waffe. Diese Waffe ist die Kritik und Selbstkritik. Wir müssen unser Handeln und Denken ständig überprüfen, wir müssen, wie der Vorsitzende Mao Tsetung sagt, “den Staub, der sich in den Köpfen unserer Genossen“ (und damit auch in den unsrigen) “abgelagert hat, wegfegen, wegwaschen!“

Bezweifeln wir also all das, was wir sagen und all das, was auf uns zugebracht wird, mit dem wir konfrontiert werden! Analysieren wir unsere Probleme dialektisch und lösen wir sie dialektisch! Wir stehen im Kampf gegen den Imperialismus und gegen den Revisionismus- vergessen wir dabei nicht den Kampf mit uns selbst. Überwinden wir unsere eigene Kleinbürgerlichkeit!

F. M.
.

1 Kommentar

  1. Ohne Zweifel keine Zukunft

    Kleinbürgerlichkeit? Trotz marxistischer Kenntnisse und Erkenntnissen, trotz klarem sozialistischem Denken und Verhalten, Reste von kleinlichem, gar egoistischem Denken werden die Menschen noch sehr lange begleiten, solange es den Kapitalismus gibt, sage ich, heute im Mai 2019. Da können die politischen Machthaber noch so den Zusammenhalt der Menschen beschwören, im Neoliberalismus ist das ICH gefragt und nicht das WIR. Keiner darf glauben, sozusagen über Nacht seien andere Gewohnheiten und ein immerwährendes edles Geschöpf aus dem Boden zu stampfen. Das wäre eine Illusion und erst recht unmarxistisch. Sonst könnte es passieren, dass du dich – oft unbewusst – als Besserwisser über ANDERSDENKENDE und ANDERSFÜHLENDE stellst und somit eine völlig unnötige Distanz aufbaust. Und mögliche Mitstreiter von vornherein vergraulst.

    Was anderes ist es, wenn du in einen ideologischen, sage besser, geistigen politischen Disput gerätst. Da ist Geduld angebracht, viel zeitaufwendige Mühe. Oder auf untragbare kleinbürgerliche Fehlverhalten, die ins Kriminelle ausarten. Da ist Streit vonnöten. Unbeugsamkeit. Auch harte Zurückweisung und Strafe, wer will das bezweifeln?Aber was immer gilt: Du kannst viel Zukunftsideen haben, voller Vertrauen in die Machbarkeit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, auch im Sozialismus, wie gehabt: Kritik, ein gesunder Zweifel an „Beschlüssen“, an Gesetzen, an Vorschriften und Meinungen von Politikern, an sogenannten Wahrheiten von bürgerlichen Medien, also an der Gesellschaft und – vor allem – zu sich selbst, das gehört zur Grundnorm eines mit Denken ausgestatteten fortschrittlichen Menschen. Sonst bleibt man nur ein „politisch dummes Schaf“ das allem und jedem Blödsinn und Ungemach hinterhertrottet. Und wer will das schon?

    Harry Popow

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*