Sowjetunion auf kapitalistischem Kurs

Werbung für Konsumgüter in der Sowjetunion: Dieses Webeplakat (Abbildung unvollständig), ist von der staatlichen Agentur “Narkommjasmolprom RSFSR / Glawmoloko”. Das Plakat suggeriert, dass die Eiscreme der Agentur die gesündeste und leckerste sei, aus natürlicher Sahne bestehe und gar Proteine, Kohlenhydrate und Vitamine enthalte. Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN. 

ROTER MORGEN, 3. Jg., März 1969

50 Jahre nach der Oktoberrevolution

… führt die sowjetische Jugendzeitschrift  „Molodei kommunist“ Klage darüber, daß in Gorki, der mit 1,2 Millionen Einwohner siebtgrößten Stadt der Sowjetunion, rund 60 Prozent aller Kleinkinder kirchlich getauft worden seien. – Sollten die Sowjetrevisionisten noch länger herrschen, dürften es bald 70 oder gar 80 Prozent sein.

In der Sowjetunion sind Kindertagesstätten so knapp, daß sich „beträchtlich mehr“ Frauen zu einer Abtreibung als zu einer Geburt entschlössen, schrieb die „Literaturnaja Gsjeta“. In der 7-Millionenstadt Moskau gibt es dem Bericht der Zeitung nur drei Kleinstkindergärten und im Landesdurchschnitt bestehen Horte nur für 23 Prozent der kleineren und größeren Kinder.

Im Zuge des „neuen Wirtschaftssystems“ beschleunigt sich in der Sowjetunion die Restauration des Kapitalismus. Dies drückt sich auch auf dem Gebiet der Werbung im Sinne der Lenkung von Angebot und Nachfrage aus. In der Moskauer Abendzeitung „Wjetschornaja Moskwa“ können Sowjetbürger für 9 Kopeken pro Buchstabe ihre Dienste anbieten. „Wenn sie schön sein wollen, dann erwartet sie der höchstmoderne und bequeme Salon, ‚Zauberin’“. Konkurrenzkampf ist Trumpf. Wer wirbt hat mehr Kunden und erzielt höheren Gewinn. Wie zum Hohn für Millionen Sowjetbürger flimmert es auch neuerdings von der Mattscheibe: „Verbringen Sie diesen Sommer in Yalta, damit Sie im nächsten Winter besser arbeiten können.“ Und offen schrieb kürzlich eine sowjetische Literaturzeitschrift: „ Wir können eine Menge von den Amerikanern lernen … ohne Werbung wären auch die Vereinigten Staaten nicht in der Lage alle Produkte zu konsumieren, die sie produzieren.“ Auch ausländischen Firmen wird jetzt die Einschaltung von Werbespots im sowjetischen Fernsehen gestattet und Dimitri Beckleshov wurde nach New York geschickt, um die Technik der großen Werbeagenturen in der Madison Avenue zu studieren.

Verboten bleibt lediglich wie bisher den Hunderttausenden sowjetischen Arbeitslosen, ihre Arbeitskraft per Anzeige auf dem freien Markt anzubieten.

Auch die kapitalistische Sitte des Trinkgeldgebens, dieses Almosenanbietens, das den Lakaiengeist züchtet, wird in der Sowjetunion wieder eingeführt. Die „Literaturnaja Gaseta“ begründet die Einführung damit, das Nichtgeben von Trinkgeldern habe dazu geführt, daß ein Mangel an Babysittern, Fliegerinnen und anderem Dienstpersonal herrsche. Abhilfe würde hier ein Bonus für gute Dienstleistungen, eben ein Trinkgeld, schaffen. Fröhlich weiter auf dem Weg der allseitigen Restauration des Kapitalismus.

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Der kapitalistische Charakter der Produktionsverhältnisse in der Sowjetunion


Die Sowjetische Arbeiterklasse ist nicht mehr Eigentümer der Produktionsmittel


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