Wohin geht die CSSR? – Eine Clique löst die andere ab

Der CSSR-Regierungsberater Diplomvolkswirt Dr. Milan Horálek (27. Nov. 1931 bis 13. Nov. 2012), studierte bei Hösch in Dortmund die kapitalistische Marktwirtschaft und hielt deren Anwendung für die einzige Möglichkeit den Sozialismus zu stabilisieren. (Bild aus dem Jahre 2011). Das Bild ist kein Bestandteil des vorliegenden Artikels des ROTEN MORGEN.

ROTER MORGEN, 2. Jg., April 1968

Professor Mehnert, westdeutscher „Ostexperte“, hat es freudig im Fernsehen verkündet, sie geht den Weg des Sozialdemokratismus. Lenin, so fügte er hinzu, würde er noch leben, wäre entsetzt über den Weg der tschechoslowakischen Genossen. – Man könnte auch sagen, sie geht den jugoslawischen Weg des Verrats am Sozialismus.

Dabei waren die Dinge vorauszusehen gewesen. Schon lange hatte sich in der CSSR die anfängliche Diktatur des Proletariats, unter der Führung des Genossen Clement Gottwald, in die Diktatur einer privilegierten Schicht von Bürokraten, Technokraten und Parteifunktionären gegen das Proletariat verwandelt. Sie führten ein Wohlleben auf Kosten des Volkes, fuhren westliche Luxus-Limousinen wie der in den Westen geflüchtete Generalmajor und Mercedes-Fahrer Sejna, gingen wie westdeutsche Kapitalisten in Böhmen, Mähren und in der Hohen Tatra auf Bären- und Mufflonjagd, kauften in Luxusläden, wurden – wenn sie krank waren – in Sonderkliniken behandelt. Hielten sich Dienstmädchen, – kurz, taten all das, was die revisionistischen Cliquen in anderen Ländern auch zu tun pflegen.

In der Wirtschaft des Landes blühten Korruption und Verbrechen. Bei der Renovierung Prags verlangten die Betriebe „Armabeton“, „Konstruktiva“ und andere 117 063 Kronen mehr, als ihnen zustand. Der Betrieb „Technoplyn“, Prag, verlangte von seinen Kunden für den Transport technischer Gase nicht nur Fracht- und Lagerzuschläge, sondern sicherheitshalber noch einmal Transportkosten. In einem anderen Fall verdiente ein Betrieb durch „falsche Fakturierung“ an Mähdreschern 1,8 Mill. Kronen zusätzlich. Die Konfektionsbetriebe Prostejov und Trencin heimsten durch Preiserhöhung von Material und Zubehör sowie falsche Umrechnungsindexe gleich 39 Mill. ein. Den Vogel schoß aber die Prager Fleischindustrie ab. Dieses Großunternehmen bestahl die Werktätigen 1966 und 1967 durch Rohstoffaustausch, Versetzung der Fleischwaren mit Wasser, Mehl und dergleichen, um nicht weniger als 66,5 Mill. Kronen.

Verständlich, daß dieses „Vorbild“ der Wirtschaftsfunktionäre nicht ohne Einfluß auf die Massen bleiben konnte. So stieg die Zahl der Verbrechen, die in den Jahren 1962-64 noch bei rund 61 000 gelegen hatte, bis 1966 auf 110 000 jährlich. Besonders wurde das Berufsverbrechertum zu einem Problem.

Parallel zu dieser Entwicklung schritt die Entideologisierung voran. Aus einer Meinungsumfrage, bei der Anfang letzten Jahres 7500 Personen befragt wurden, ging, wie die „Bratislaver Prawda“ berichtete, hervor: Nur etwa die Hälfte der Befragten mißt „imperialistischen  Kreisen“  die Schuld für die internationalen Spannungen zu, mehr als 28 Prozent macht „beide Seiten“ verantwortlich. Nur 41 Prozent geben den USA die Schuld am Vietnam-Krieg und nahezu die Hälfte antwortete auf die Frage was der wichtigste Beitrag der CSSR zur Erhaltung des Friedens sei: „Die Erhöhung des Lebensstandards in der CSSR“.

Verständlich, daß man angesichts dieser Einstellung in vielen Studentenbuden statt Bildern marxistischer Klassiker das Porträt des US-Präsidenten Kennedy findet, daß für viele Jugendliche Westdeutschland und die USA das Vorbild sind, daß ihr einziges Ideal darin besteht, ein Auto zu haben. Verständlich, daß auf diesem ideologischen Mistbeet das gedeihen konnte, was jetzt in der CSSR hervorgeht.

Da nützte es dem inzwischen abgehalfterten Staatspräsidenten und Parteichef Novotny auch nichts mehr, daß er in seiner Neujahrsansprache einräumte, daß die Durchführung der sogenannten Wirtschaftsreform in der CSSR ohne Anwendung gewisser „aus kapitalistischen Ländern stammender“ Methoden nicht möglich sei. Währenddessen weilten die, die ihn ablösen sollten, wie der Diplomvolkswirt Dr. Milan Horálek, schon lange in Westdeutschland, um an Ort und Stelle – zum Beispiel bei den Höschwerken in Dortmund – das „kapitalistische System“ zu studieren. Sein Programm: Sozialistische Marktwirtschaft.

Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Den neuen Herren ging die restaurative Entwicklung zum Kapitalismus, wie sie in allen revisionistischen Staaten mehr oder minder schnell verwirklicht wird, nicht schnell genug. Horalek, der Mitarbeiter von Professor Dr. Otto Sick, Mitglied des ZK und Direktor des Wirtschaftsinstituts der Akademie der Wissenschaften ist, in einem Interview mit Springers „Bild am Sonntag“: „ Der Kommunismus hat die Marktwirtschaft unterdrückt. Ich bin sicher, daß wir nicht das einzige Land im Ostblock bleiben werden, das sich nach der neuen Marktordnung richtet. Ungarn folgt unserem Beispiel“.

In Zukunft soll sich die Wirtschaft der CSSR nach Angebot und Nachfrage richten. (Marktorientierte Preise, materieller Anreiz). Es wird nach Profit gewirtschaftet werden. Gleichzeitig soll der private Sektor der Wirtschaft gefördert und ausgebaut werden. Das jugoslawische Beispiel gilt als Vorbild. Und schon heute können sich die tschechischen Arbeiter ausrechnen, wann sie im Zuge der Rationalisierung entlassen werden und wie ihre jugoslawischen Kollegen als Fremdarbeiter nach Westdeutschland gehen können, um hier ausgebeutet zu werden. Denn reisen dürfen sie. Forstminister Josef Smrkovsky hat es im Fernsehen gesagt: „Wir werden uns stark machen für das Recht, frei zu reisen. Damit meine ich auch Reisen in den Westen. Es fahren doch viele Leute aus dem Westen zu uns. Und es sollen noch mehr kommen, auch von uns sollen so viele wie möglich in den Westen fahren. Wir sind doch Nachbarn.“

Ja Nachbarn, Brüder, Gesinnungsgenossen, nicht nur in geographischer Hinsicht, sondern auch auf wirtschaftlichem und ideologischem Gebiet. Das ist das Ziel, dem man vorerst noch ein sozialistisches Mäntelchen umhängt. Darum braucht sich auch niemand zu wundern, wenn bürgerliche Politiker wie der vor 20 Jahren verstorbene Jan Masaryk offiziell geehrt und von Zeitschriften wie „Reporter“ der tschechischen Jugend als Vorbild hingestellt werden. Wenn kurzfristig bereits vorbereitete Protestdemonstrationen gegen den Vietnam-Krieg abgesagt und dafür Ergebenheitsadressen an Parteichef Dubcek gesandt werden. Wenn die alten Parteien wie die „Sozialistische Partei“ und die „Volkspartei“ wieder Forderungen anmelden und für sich die Rolle des „schöpferischen Partners“ verlangen. Wenn in Zeitschriften öffentlich gefordert wird: „Freie (sprich bürgerliche)  Wahlen, ein funktionierendes Parlament mit einer Opposition (sprich bürgerlicher Parlamentarismus), aktive Neutralität, Föderalisierung eines unabhängigen Staates, Sozialismus unseres Typs“ usw. Oder wenn Professor Eduard Goldstükker, Prorektor der Karls-Universität, fordert, die Diktatur des Proletariats abzuschaffen und zu einem System der Freiheit zurückzukehren.


“Man muß äußerst wachsam gegenüber Karrieristen und Verschwörern wie Chruschtschow sein und verhüten, daß Halunken dieser Art auf verschiedenen Ebenen die Führung in Partei und Staat an sich reißen.“

Mao Tse Tung


Freiheit für wen. Muss man hier fragen, Freiheit für die tschechoslowakischen Arbeiter und Bauern, die an den jetzigen Veränderungen in der CSSR kaum einen Anteil haben und voller Sorge in die Zukunft schauen? Nein, für sie wird es unter den neuen Revisionisten keine Freiheit geben, so wenig, wie es sie unter der Novotny-Herrschaft gab.Wenn hier von Freiheit die Rede ist, beispielsweise der so viel zitierten Pressefreiheit, die wiederhergestellt sei, so ist damit nur gemeint, daß diejenigen, die die Rückkehr zum Kapitalismus predigen, volle Freiheit haben, ihre Ansicht zu äußern, während diese Freiheit für echte Marxisten-Leninisten nicht gilt.

Dieser konterrevolutionäre Putsch in der CSSR (selbst im Parteiorgan „Rude Pravo“ stand zu lesen, daß die marxistisch-leninistische Ideologie für das moderne Zeitalter nicht mehr zu  gebrauchen sei) wurde natürlich im Westen freudig begrüßt. Doch auch die italienische KP sowie die Tito-Clique – der man zuvor auf dem Budapester Konsultativtreffen Schützenhilfe geleistet hatte – und die KP Ungarns, wünschten den neuen Machthabern in Prag Glück. Nicht begrüßt wurde die neue Entwicklung bei den revisionistischen Nachbarn der CSSR, vor allem den Machthabern in Ostberlin, die bei einer ähnlichen Entwicklung in der DDR um ihre Positionen fürchten. Die Gegenreaktion aus Prag: Man spricht im Fernsehen von „Ostdeutschland“ und kündigt eine Intensivierung der Beziehungen zur „Bundesrepublik“ an.

Man sieht, der Verrat am Marxismus-Leninismus, von den Chruschtschow-Revisionisten eingeleitet, schreitet rüstig voran. Doch gleichzeitig wächst auch der Widerstand der Marxisten-Leninisten gegen den Verrat am Erbe Marx, Engel, Lenins und Stalins. Sie haben noch einen schweren Kampf vor sich. Doch gestützt auf die Lehre Mao Tse-Tungs, sich aufrichtend an den Beispielen Chinas und Albaniens, werden sie auch in ihren Ländern früher oder später die zweite proletarische Revolution durchführen und alle Renegaten und Revisionisten zum Teufel jagen.

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